Citizen Science und die Sustainable Development Goals SDG

Die 17 Sustainable Development Goals (SDGs) der Vereinten Nationen bieten einen globalen Rahmen für eine nachhaltige Entwicklung. Citizen Science – die Einbindung der Öffentlichkeit in die wissenschaftliche Forschung – spielt eine wichtige Rolle bei der Erreichung dieser Ziele. Hier beleuchten wir, wie Citizen Science zur Realisierung der SDGs beitragen kann und welche Potenziale und Herausforderungen damit verbunden sind. Gerne nehmen wir Beiträge und Hinweise entgegen, welche die Entwicklungen im Zusammenhang von Citizen Science und den Nachhaltigkeitszielen in der Schweiz ergänzen und diesen Spotlight vertiefen.

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Citizen Science: Ein Schlüssel zur Förderung der SDGs

Die SDGs und deren 169 Teilziele stellen einen universellen Appell zum Handeln dar, um Armut zu beenden, den Planeten zu schützen, Gesundheit und Bildung zu verbessern, Ungleichheit zu verringern und zukunftsfähige Wirtschaftssysteme zu entwickeln. «Leave no one behind» bildet dabei das zentrale, transformative Versprechen der Agenda 2030 für nachhaltige Entwicklung. Um die Fortschritte bei der Verwirklichung der SDGs messen und den Handlungsbedarf ableiten zu können, werden qualitativ hochwertige, zugängliche, zeitnahe und zuverlässige Daten benötigt. Hier kommt das Konzept der Citizen Science ins Spiel. 

Wenn es Forschungsansatz und Methode erlauben, können Bürgerinnen und Bürger grundsätzlich in jeder Stufe des Forschungsprozesses mitmachen, von der Entwicklung der Forschungsfrage, der Entwicklung der Methode, der Sammlung und Analyse von Daten bis hin zur Kommunikation der Ergebnisse. Deshalb können die im Rahmen von Citizen-Science-Projekten gesammelten Daten nicht nur dazu beitragen, Datenlücken zu schliessen, sondern auch dabei helfen, neue Indikatoren vorzuschlagen, die aus den Daten selbst abgeleitet werden und für das Leben der Teilnehmenden relevanter sind. Es besteht sogar die Möglichkeit, die Bürgerinnen und Bürger in die Entwicklung von alternativen Zielen einzubeziehen, die den Erfahrungen der Menschen möglicherweise besser entsprechen als die SDG-Unterziele.

Das White Paper  “Priority Themes for Swiss Sustainability Research" der Akademien der Wissenschaften Schweiz zeigt anhand von sechs Schwerpunktthemen den dringendsten Forschungsbedarf der Schweiz auf, um die Erreichung der UNO-Ziele für nachhaltige Entwicklung bestmöglich zu unterstützen. Die Schwerpunktthemen wurden von 30 Expertinnen und Experten aus Wissenschaft und Praxis auf der Basis eines breit angelegten Dialogs mit über 100 Stakeholdern aus Wissenschaft, Wirtschaft, Verwaltung und Zivilgesellschaft erarbeitet.

Die Studie “Mapping citizen science contributions to the UN sustainable development goals” zeigt auf, wie Citizen-Science-Projekte Datenlücken für die Nachhaltigkeitsziele füllen können. Untersuchungen zufolge trägt Citizen Science bereits zur Messung von 5 SDG-Indikatoren und zur Erreichung von 76 Teilzielen bei. Ihre Beiträge sind insbesondere in den Bereichen Bildung (Goal 4), nachhaltige Städte und Gemeinden (SDG 11), Klimaschutz (SDG 13), Leben an Land (SDG 15), Gesundheit (SDG 3), sauberes Wasser und sanitäre Einrichtungen (SDG 6) ausweisbar.

Die Studie “Citizen Science and the United Nations Sustainable Development Goals” betont, dass traditionelle Datenquellen aus nationalen Statistikämtern, offiziellen Agenturen und internationalen Organisationen für die SDG-Indikatoren nicht ausreichen und dass nicht-traditionelle Datenquellen unter anderem aus Citizen-Science-Projekten genutzt werden sollten. Citizen Science habe das Potenzial, insbesondere zu anspruchsvolleren SDG-Indikatoren beizutragen. Die Unterstützung von Citizen-Science-Projekten auf lokaler Ebene wird als Möglichkeit zur Förderung der SDG-Berichterstattung und zur sozialen Innovation betrachtet.


Beispiele Initiativen

Verschiedene Initiativen, die den Beitrag der Citizen Science zu den SDGs erfassen, gibt es bereits.

Das europäische Horizon 2020 Projekt WeObserve zielt darauf ab, die Koordinierung zwischen Citizen-Science-Projekten und verwandten Initiativen zu verbessern und Herausforderungen in Bezug auf Bekanntheit, Akzeptanz und Nachhaltigkeit anzugehen. Es soll ein nachhaltiges Ökosystem (Communities of Practice) für Citizen Science geschaffen werden, um Wissen, Ideen und Ressourcen darüber auszutauschen, wie man den Wert von Citizen-Science-Daten für die Erreichung der SDGs demonstrieren kann. Das Projekt richtet sich an Citizen-Science-Praktiker:innen, Forschende, nationale statistische Ämter, Vertretende der Vereinten Nationen und andere internationale Organisationen. WeObserve bietet zudem verschiedene Tools zu Themen wie Co-Desing und Co-Creation, Datenerfassung für Umweltmonitoring, Datenqualität und Visualisierung oder Evaluierung an.

Der Bericht Lighthouse Programmes in Sustainability Research and Innovation von den Akademien der Wissenschaften Schweiz behandelt die Rolle von Leuchtturmprogrammen in der Nachhaltigkeitsforschung und -innovation. Diese Programme werden als effektive Wege zur Unterstützung der nachhaltigen Entwicklung durch Forschung und Innovation betrachtet. Sie fördern nicht nur wissensorientiertes Wissen zu zentralen Nachhaltigkeitsfragen, sondern bringen auch gesellschaftliche, wissenschaftliche und institutionelle Vorteile mit sich. Der Bericht betont die Notwendigkeit von inter- und transdisziplinärer Forschung, die gesellschaftliche Auswirkungen anstrebt. Er wurde von der Sustainability Research Initiative der Schweizerischen Akademie der Wissenschaften in Zusammenarbeit mit Expert:innen aus der Forschungsgemeinschaft und Förderinstitutionen erstellt.

Das Forum Citizen Science 2022 stand unter dem Motto «Global - Regional - Lokal: mit Bürgerwissenschaften für die UN-Nachhaltigkeitsziele». Die Veranstaltung bot der Citizen Science Community eine Plattform für Diskussionen, Workshops und Projektvorstellungen. Es wurde darüber diskutiert, wie Citizen-Science-Projekte dazu beitragen können, die 17 Ziele für nachhaltige Entwicklung der Vereinten Nationen zu stärken und umzusetzen. Die Konferenz wurde von Wissenschaft im Dialog, dem Museum für Naturkunde Berlin und der Hochschule Bonn-Rhein-Sieg gemeinsam organisiert.

Das Crowd4SDG-Projekt zielte darauf ab, zu erforschen, inwieweit Citizen Science eine wesentliche Quelle nicht-traditioneller Daten zum Monitoring des Fortschritts bei der Umsetzung der SDGs darstellen kann. Darüber hinaus wurde untersucht, wie Citizen Science dazu beiträgt, soziale Innovationen zu generieren, die diesen Fortschritt ermöglichen. Die Crowd4SDG-Konferenz im März 2023 war der Höhepunkt von drei Jahren Arbeit. Die Veranstaltung umfasste kurze Präsentationen, Podiumsdiskussionen und Hackathons.

Die Citizen-Science-Konferenz Knowledge for Change: A decade of Citizen Science (2020-2030) in support of the SDGs, im Oktober 2020 vom Museum für Naturkunde Berlin organisiert, thematisierte die Rolle der Citizen Science bei der Umsetzung der SDGs. Expert:innen aus Politik, Wissenschaft, Wirtschaft und Zivilgesellschaft diskutierten die Beiträge von Citizen Science zur Förderung einer nachhaltigen Entwicklung. Themen umfassten die Anwendung von Citizen Science für verschiedene SDGs, politische und wissenschaftliche Methoden sowie den gesellschaftlichen Nutzen von Citizen-Science-Netzwerken und Plattformen. Im Rahmen der Konferenz wurde eine Deklaration verfasst, in der sich Bürgerwissenschaftler:innen, Forschende und politische Entscheidungsträger:innen verpflichten, die Funktion der Citizen Science für die nachhaltige Entwicklung und die SDGs zu stärken. Bereits mehr als 290 Personen aus mehr als 25 Ländern haben die Erklärung als Einzelpersonen, im Namen ihrer Projekte oder als Institutionen unterzeichnet. In Vorbereitung auf die Konferenz wurde eine Umfrage unter europäischen Citizen-Science-Projekten durchgeführt, um herauszufinden, ob und wie diese Projekte ihren Beitrag zu den SDGs einschätzen.

Die Universität Genf hat 2017 den SDG Solution Space eröffnet, um Bildungs- und Forschungsaktivitäten zu den SDGs zu fördern. Der Raum befindet sich im Zentrum Genfs und arbeitet mit über 500 internationalen Organisationen zusammen. Der SDG Solution Space verfolgt vier Ziele: Nachhaltige Lösungen generieren, soziale Unternehmer ausbilden, offene Innovation fördern und Forschung zur öffentlichen Beteiligung vorantreiben. Das dazugehörige Citizen Cyberlab ist ein Labor für partizipative Forschung und Reflexion über die Rolle von Wissenschaft und Technologie in modernen Gesellschaften. Es entwickelt Open-Source-Forschungstools und veranstaltet Schulungen, um die öffentliche Beteiligung an wissenschaftlichen und sozialen Themen zu stärken.

Weiterführende Literatur

  • Fraisl, D., Campbell, J., See, L. et al. Mapping citizen science contributions to the UN sustainable development goals. Sustain Sci 15, 1735–1751 (2020). https://doi.org/10.1007/s11625-020-00833-7
    • Die Studie stellt fest, dass zuverlässige Daten entscheidend sind, um den Fortschritt bei der Umsetzung der UN-Nachhaltigkeitsziele zu messen, und dass Citizen Science eine neue Datenquelle darstellt. Um das Potenzial von Citizen-Science-Projekten auszuschöpfen, sind Partnerschaften und Investitionen zur Verbesserung ihrer Nutzung und Wirkung erforderlich.
  • Müller, M., Lorenz, J., Voigt-Heucke, S., Heinrich, G. and Oesterheld, M., 2023. Citizen Science for the Sustainable Development Goals? The Perspective of German Citizen Science Practitioners on the Relationship between Citizen Science and the Sustainable Development Goals. Citizen Science: Theory and Practice, 8(1), p.34.DOI: https://doi.org/10.5334/cstp.583 
    • Die Studie untersucht, inwiefern Citizen Science eine Rolle bei Monitoring der SDGs spielen kann, der tatsächliche Beitrag von Citizen Science bisher allerdings hinter den Erwartungen zurückgeblieben ist. Zwei separate Umfragen mit insgesamt 81 CS-Praktizierenden in Deutschland zeigen, dass die Mehrheit der Befragten wenig Überschneidungen zwischen ihrer Forschung und den SDGs sieht, während ihre Einschätzung der allgemeinen Synergien zwischen CS und den SDGs etwas positiver ausfällt. 
  • Ohde, Franziska; Zurek, Bianka; Blättel-Mink, Birigt (2023): Sustainable Development Goals, Citizen Science und digitale Technologien: Eine Literaturstudie.
    • Die Literaturstudie untersucht den Beitrag digitaler Technologien und Citizen Science zur Erreichung der SDGs und zeigt auf, dass während Möglichkeiten für digitale Technologien bestehen, auch Risiken wie erhöhter Energieverbrauch und Diskriminierung durch algorithmische Systeme bestehen. Es wird betont, dass Zielkonflikte zwischen den SDGs bisher weder durch Citizen Science noch durch digitale Technologien systematisch angegangen wurden. Die Studie schlägt vor, dass weiterführende Forschung sich mit Zielkonflikten der SDGs befassen und Rahmenprogramme für deren Bearbeitung entwickeln sollte, während auch die sozial-ökologische Gestaltung der Hardware algorithmischer Systeme erforscht werden sollte, um den Energie- und Ressourcenverbrauch zu reduzieren.
  • Fritz, S., See, L., Carlson, T. et al. Citizen science and the United Nations Sustainable Development Goals. Nat Sustain 2, 922–930 (2019). https://doi.org/10.1038/s41893-019-0390-3 
    • Der Artikel zeigt auf, wie Citizen Science in die formellen Mechanismen der nationalen Berichterstattungen über die Nachhaltigkeitsziele integriert werden kann. Analysiert werden die Rollen der Vereinten Nationen und die Innovationen von nationalen statistischen Ämtern.
  • Old, R. Citizen Science for sustainability, Report on lessons learned, synergies and activities to build upon, with a database of 30 inspiring citizen science initiatives. PS Lifestyle, Collaborating Centre on Sustainable Consumption and production (CSCP) (2022).
    • Der Bericht erkundet die Rolle von Citizen Science bei der Förderung nachhaltiger Lebensstile in Europa. Er bietet einen Überblick über den aktuellen Stand der Bürgerwissenschaft im Kontext der Nachhaltigkeit und präsentiert 30 inspirierende Fallstudien von Citizen-Science-Initiativen. Die Untersuchung betont vier Schlüsselelemente von Citizen-Science-Projekten: Teilnehmendenengagement, Datensammlung von und mit Bürger:innen, Aufrechterhaltung von Engagement und Umsetzung von Veränderungen, um einen Beitrag zur Förderung nachhaltiger Lebensstile zu leisten.

 


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