Citizen Science in der Schweiz

Den frischesten, fundiertesten und umfassendsten Überblick zu Citizen Science in der Schweiz gibt die Publikation Citizen Science in Switzerland: Taking Stock and Ways into the Future.

Im Auftrag der Akademien der Wissenschaften Schweiz haben wir diesen Bericht erstellt, der Ende August 2024 erschienen ist. In knapp zwei Jahren partizipativer Arbeit mit einer Expert:innengruppe und unter Einbezug der Citizen Science Community haben wir den Stand der Dinge in der Schweiz aufgearbeitet sowie Ziele und Massnahmen formuliert.

Die Publikation bietet eine Grundlage für ein gemeinsames Verständnis von und zu Citizen Science und dient als Ausgangspunkt für künftige Citizen-Science-Initiativen in der Schweiz. Für Schweiz forscht als Netzwerk und Plattform ist der Bericht ein wichtiger Orientierungspunkt. Wir werden Veranstaltungen organisieren, um die Konkretisierung von Massnahmen zusammen anzugehen und die Ziele gemeinsam zu erreichen. Wir freuen uns auf Ihre Rückmeldungen und sind offen für Ideen und Kooperationen.

Neben einer allgemeinen Bestandesaufnahme vertieft der Bericht die vier Themen Mehrwert und Wirkung, Finanzierung, Ausbildung sowie Kommunikation und Sichtbarkeit. Es finden sich dazu zahlreiche Best-Practice Beispielen, Tools und Übersichtslisten. Citizen-Science-Praktiker:innen, Hochschulen, nicht-akademische Institutionen, Ad-hoc-Arbeitsgruppen, Koordinationsstellen und Förderorganisationen werden jeweils mit spezifischen Zielen und Massnahmen adressiert. Der Bericht entstand im Rahmen der Initiative Citizen Science der Akademien der Wissenschaften Schweiz 2021-24 und wurde koordiniert von Science et Cité.

 Mehrwert und Wirkung

Citizen Science kommt sowohl der Wissenschaft als auch den Teilnehmenden zugute. Der Ansatz verschafft Zugang zu Wissen und Erfahrungen, die sonst nicht verfügbar wären, und ermöglicht gemeinsames Lernen und Empowerment. Citizen Science greift oft wichtige soziale und ökologische Fragestellungen auf und fördert so den Dialog zwischen Wissenschaft und Gesellschaft. Um ihre Wirkung zu maximieren, sollten Citizen-Science-Projekte sorgfältig geplant, evaluiert und ihre Resultate gemeinsam mit den Citizen Scientists kommuniziert werden. Der Bericht stellt dazu entsprechende Instrumente vor.

 Finanzierung

Citizen-Science-Projekte sind in der Regel auf externe Finanzierung angewiesen. In der Schweiz gibt es jedoch kein spezifisches, langfristiges Förderprogramm. Dies er-schwert den Wettbewerb mit anderen Forschungsprojekten zusätzlich, zumal Citizen Science oft mehr Zeit und Ressourcen benötigt für Kollaborationen und Community Building. Der Bericht enthält eine Liste möglicher Geldgeber sowie Tipps, was bei der Antragstellung zu beachten ist.

 Ausbildung

Forschende müssen besser auf die Durchführung von Citizen-Science-Projekten vorbereitet werden. Die meisten Schulungen zielen auf die Teilnehmenden aus der Bevölkerung, auf die Citizen Scientists, und nicht auf die hauptamtlich Forschenden. Diese sollten im Rahmen akademischer Programme Kompetenzen für die Durchführung von partizipativen Projekten erwerben. Der Bericht stellt einige inspirierende Beispiele von Kursen und Online-Tools zu diesem Zweck vor.

 Kommunikation und Sichtbarkeit

In der Schweiz wird Citizen Science zunehmend von nationalen forschungsnahen Organisationen unterstützt, was die Sichtbarkeit von Citizen Science bei den Stakeholdern erhöht. Es ist wünschenswert, ein breiteres Publikum zu erreichen, und der Bericht bietet Instrumente und Beispiele für erfolgreiche Wissenschaftskommunikation mit Reichweite.

 

Kurzer historischer Überblick

Im 19. Jahrhundert war ausseruniversitäre Forschung weit verbreitet, auch in der Schweiz. Es gab zahlreiche und populäre kantonale naturforschende Gesellschaften und 1815 wurde die Helvetische Naturwissenschaftliche Gesellschaft gegründet, die erste in Europa. Etwas später entstanden allenthalben lokale geschichtsforschende Vereine. In der historischen Wissenschaftsforschung bleibt umstritten, inwiefern diese Gesellschaften und Vereine als Vorläufer von Citizen Science angesehen werden können. Die Professionalisierung der Wissenschaften war noch nicht so weit vorangeschritten und viele Forschende besassen eine Ausbildung in der entsprechenden Disziplin.

Im 20. Jahrhundert gab es einige Projekte in der Schweiz, welche einen Ansatz hatten, den man heute Citizen Science nennen könnte, so zum Beispiel das Wasservogel-Monitoring der Schweizerischen Vogelwarte in Sempach oder die Flechtenkartierung des WWF. Es bleibt zu untersuchen, welche Rolle hierzulande aktivistische und wissenschaftskritische Bewegungen spielten (zum Beispiel in den Bereichen Umweltverschmutzung oder Frauengesundheit). Diese nutzten andernorts wissenschaftliche Ansätze für ihre Anliegen und brachten so gesellschaftlich relevante Themen in die Forschung, wie ein SNF-Projekt der Universität Genf gezeigt hat.

Nachdem der Begriff Citizen Science in den 1990er Jahre geprägt wurde, starteten auch in der Schweiz einige Projekte unter diesem Label. Heute bieten in der Schweiz zahlreiche Akteure auf akademischer und institutioneller Ebene Citizen-Science-Projekte an. Auf unserer Plattform ist die Mehrheit der Projekte aus dem Bereich der Naturwissenschaften. In den letzten Jahren haben wir eine Zunahme von Projekten im Bereich der medizinischen Wissenschaften sowie Geistes- und Sozialwissenschaften festgestellt (z. B. Transkription von Schriftstücken, medizinische Register für eine seltene Krankheit usw.).

Untenstehende Darstellung veranschaulicht, dass sich nach 2010 vermehrt Organisationen mit Citizen Science zu befassen begannen. Sie zeigt die schritt- und teilweise Institutionalisierung mit Fokus auf Ereignisse mit nationalem Charakter. Die Darstellung bildet den Kenntnisstand vom November 2023 ab, gerne nehmen wir Beiträge entgegen, welche die Geschichte von Citizen Science in der Schweiz komplettieren. Herzlichen Dank!

 

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