Im Jahre 1781 entdeckte der ausgebildete Musiker William Herschel mit Hilfe eines seiner selbst gebauten Teleskope ein neues Objekt am Himmel, heute bekannt als Uranus. Seine Schwester Caroline, mit der er zusammen in England wohnte und die ebenfalls Musikerin war, entdeckte in ihren eigenen astronomischen Arbeiten unter anderem einige Kometen. William wurde daraufhin Hofastronom bei König George III. Caroline erhielt die Goldmedaille der Royal Astronomical Society.
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Man kann diese Episode so lesen, dass sie den grossen Wert der Arbeit von Laien in der Wissenschaft illustriert. Dabei gilt es aber zu beachten, dass eine Trennung zwischen Laien- und Profi-Forschung bis gegen Ende des 19. Jahrhunderts kaum Sinn macht. Dann wurden die meisten Universitäten gegründet und erst dann erfuhr das Berufsbild Forscher:in eine deutliche Professionalisierung und Ausdifferenzierung. (Auch Charles Darwin war kein universitär ausgebildeter Biologe). Das Beispiel der Herschels soll also vor allem illustrieren, dass es in der Astronomie eine gewisse Tradition gibt, Beiträge von Personen ohne formale astronomische Ausbildung mit einzubeziehen und auch mit Auszeichnungen oder Positionen zu würdigen.
Der Wert dieses Einbezugs offenbarte sich beispielsweise beim grossen Leoniden-Meteorsturm von 1833. Die Leoniden erscheinen im Prinzip jeden November am Himmel als Sternschnuppen. Falls die Bedingungen passen, gibt es davon bis zu 10 pro Stunde zu sehen. Ungefähr alle 33 Jahre ist die Konstellation so, dass es zu einem sogenannten Meteorsturm mit über 1’000 Sternschnuppen pro Stunde kommt. Im Jahr 1833 sollen es sogar bis zu 100'000 gewesen sein. Laien führten damals einen beachtlichen Teil der weltweiten Beobachtungen durch. Das lieferte nicht nur verlässliche Zahlen, sondern führte auch zu einem besseren Verständnis von Meteoren, die man bis dahin gemeinhin als Phänomen in der Atmosphäre begriff.
In der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts übernahm das Labor als Ort des Experiments die Hauptrolle in vielen wissenschaftlichen Disziplinen. Unter anderem deswegen professionalisierte sich die Wissenschaft und zügelte vom Feld oder dem Haus an die Universitäten, die zu dieser Zeit und auch zu diesem Zweck zahlreich neu gegründet wurden. Obwohl die Astronomie weniger auf Experimenten beruht als andere Naturwissenschaften, scheint der Rückgriff auf Laien um diese Zeit auch hier zurückgegangen zu sein.
Das nächste Astronomie-Projekt, das im grossen Stil Laien miteinbezog, war die Operation Moonwatch von 1957/58. Im Kontext des Kalten Krieges lancierte das Smithsonian Astrophysical Observatory der Harvard University die Idee, die Flugbahn von künstlichen Satelliten in der oberen Atmosphäre mit Hilfe von Freiwilligen zu verfolgen. Das Projekt legte einerseits viel Wert auf staatsbürgerliche Verantwortung und andererseits auf die Zugänglichkeit von und Freude an der Wissenschaft. So kann es als Citizen Science avant la lettre angesehen werden. Um die 750'000 Freiwillige weltweit machten mit und lieferten durchaus substanzielle Beiträge. Schon bald stieg aber die Anzahl der Satelliten im All signifikant an, woraufhin mehr und exaktere Messungen gefragt waren. Technologische Innovationen führten weiterhin dazu, dass nur noch die engagiertesten Freiwilligen im Projekt blieben.
Im Jahr 2007, gut zehn Jahre nachdem der Begriff Citizen Science erstmals auftauchte, gründeten zwei Astrophysiker der Universität Oxford mit Galaxy Zoo eines der berühmtesten Citizen-Science-Projekte überhaupt. Ausgangspunkt war der Wunsch, die Morphologie von 900'000 Galaxien zu klären. Dazu musste ein Mensch bisher unbesehene Aufnahme eines Roboterteleskops anschauen. Die Gründer schätzten, dass ein:e Profi dafür drei bis fünf Jahre brauchen würde, bei einer Arbeitszeit von 24 Stunden pro Tag und sieben Tage pro Woche. So stellten sie die Aufnahmen online und forderten Interessierte auf, die Klassifizierungen vorzunehmen. Zu ihrer eigenen Überraschung machten 100'000 Freiwillige insgesamt 40 Millionen Klassifizierungen, also durchschnittlich 38 pro Galaxie, und erledigten die Arbeit in 175 Tagen. Die Plattform von Galaxy Zoo wurde 2009 von der Citizen Science Alliance übernommen, in Zooniverse umbenannt und bietet heute die Möglichkeit, an Citizen-Science-Projekten aus allen möglichen Disziplinen mitzumachen.
Nachfolgeprojekte, bei denen man immer wieder mitmachen kann. Der Erfolg erklärt sich einerseits mit guter Zugänglichkeit und sorgfältigem Community Management, zum Beispiel im dazugehörenden Forum. Andererseits ist auch der wissenschaftliche Wert unbestritten. EineAnalyse zum zehnjährigen Bestehen von Galaxy Zoo identifizierte 60 Artikel in Fachzeitschriften, die auf Datendes Projekts beruhen. Zehn davon wurden sogar mehr als hundert Mal zitiert; der Rekord liegt bei 1'745. Citizen Scientists entdecken auch immer wieder neue astronomische Objekte bei Galaxy Zoo, darunter sogenannte "gelbe Kugeln" Von Galaxy Zoo selbst gibt es bis heute unzählige oder "Grüne Erbsen-Galaxien". Am bekanntesten ist "Hannys Objekt", entdeckt von der musikinteressierten niederländischen Physiklehrerin Hanny van Arkel. Sie wurde durch einen Aufruf des Gitarristen der Rockband Queen auf das Projekt aufmerksam, fand bald Gefallen am Klassifizieren von Galaxien und meldete sich im Forum, als sie auf das bisher unbekannte Objekt stiess. Damit gibt es gewisse Parallelen zu den Herschels rund 230 Jahre früher. Es wird auch klar, dass Laienforschung wertvoll für Wissenschaft, Gesellschaft und Individuen geblieben ist. Die Astronomie und Citizen Science sind ein gutes Beispiel dafür.
Dieser Beitrag beruht auf einem Vortrag im CosmosClub vom März 2024. Vielen Dank an das Team vom Raumschiff in Dübendorf für die Einladung!
Veröffentlicht am 11. Dezember 2024
Literaturhinweise:
Patrick McCray (2008), Keep Watching the Skies: The Story of Operation Moonwatch and the Dawn of the Space Age.
Richard Gray (2020), Galaxy Zoo: Citizen science trailblazer marks tenth birthday. https://www.bbc.com/news/science-environment-40558759
Karen L. Masters (2009), She's an Astronomer: Hanny van Arkel. https://blog.galaxyzoo.org/2009/05/01/shes-an-astronomer-hanny-van-arkel/
Strasser, B. J., Baudry, J., Mahr, D., Sanchez, G. and Tancoigne, E. (2019) “‘Citizen Science’? Rethinking Science and Public Participation”, Science & Technology Studies, 32(2), pp. 52–76. doi.org/10.23987/sts.60425.
Malea Walker (2020), How Newspapers Helped Crowdsource a Scientific Discovery: The 1833 Leonid Meteor Storm, Library of Congress Blogs. https://blogs.loc.gov/headlinesandheroes/2020/09/how-newspapers-helped-crowdsource-a-scientific-discovery-the-1833-leonid-meteor-storm/